«Das Innere Kind ist ein Modell zur Betrachtung innerer Erlebniswelten in der Psychotherapie. Es wurde durch Bücher von John Bradshaw sowie Erika Chopich und Margaret Paul bekannt gemacht. Es repräsentiert und symbolisiert die im Gehirn gespeicherten Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen aus der eigenen Kindheit. Hierzu gehört das ganze Spektrum intensiver Gefühle wie ungebremste Freude, abgrundtiefer Schmerz, Glück und Traurigkeit, Intuition und Neugierde, Gefühle von Verlassenheit, Angst oder Wut.»
Die Eindrücke der Kindheit wurzeln am tiefsten.
– Karl Emil Franzos
Es ist wichtig zu betonen, dass das innere Kind nicht nur für den emotionalen Ballast steht, der uns auch heute noch Probleme bereiten kann, sondern auch für die kindliche Freude und die positive Selbstwahrnehmung.
Man kann sich vorstellen, dass alles, was wir während unserer Kindheit gelernt und erlebt haben, in Form eines inneren Kindes in uns weiterlebt. Jeder von uns kommt als unschuldiges und unwissendes Wesen auf die Welt. Unbewusst weiss unser Herz, dass es schlagen und wir atmen müssen, um zu überleben. Dann meldet sich das erste Gefühl: der Hunger. Wir machen uns bemerkbar, indem wir weinen, und lernen, zu saugen. Ein Gefühl des Wohlbehagens breitet sich aus. Wir erfahren, dass die Welt in Ordnung ist, wenn Mama oder Papa lächeln, und wir erkennen, dass etwas nicht stimmt, wenn wir traurige oder verärgerte Gesichter sehen.
Wir alle teilen ein gemeinsames Grundbedürfnis: geliebt zu werden.
All diese Eindrücke prägen sich in unserem Gedächtnis ein und werden in unserem Unterbewusstsein gespeichert. Von dort aus tauchen sie immer wieder auf, um sicherzustellen, dass sie nicht vergessen werden. Mit dem Älterwerden nehmen die Lernsituationen zu. Wir beginnen unbewusst, zu sortieren: Was benötigen wir immer wieder? Was ist für uns wichtig? Welche Botschaften hören wir häufig, und welche möchten wir lieber vergessen?
Besonders Aussagen wie «Iss nicht so viel, sonst wirst du dick», «Schon wieder eine schlechte Note, du bist doch nicht dumm», «Hör auf zu weinen, du bist kein Baby mehr», oder «Das Leben ist kein Zuckerschlecken; um etwas zu erreichen, musst du kämpfen» möchten wir nicht hören und auch nicht in unserem Gedächtnis behalten. Doch unser Gehirn speichert diese «Lehrsätze» oder Glaubenssätze im Unterbewusstsein, in der hintersten Schublade ab. Ähnliches kann auch mit negativen Erlebnissen geschehen, wie etwa dem Sturz die Treppe hinunter und dem anschliessenden Gelächter oder dem Gefühl der Einsamkeit, weil niemand Zeit für uns hat.
Langsam aber sicher werden wir erwachsen, und wir könnten denken, dass diese alten, gemeinen Sätze und schmerzhaften Erlebnisse für immer verschwunden sind. Doch das ist nicht der Fall. Sie tauchen immer wieder auf und beeinflussen unbewusst unsere Entscheidungen, Emotionen und Lebenserfahrungen. Diese Prägungen aus der Kindheit, die entwickelten Glaubenssätze und die dazugehörigen Schutzmechanismen bilden das Fundament unseres Lebens. Ganz gleich, welchen Lebensbereich wir betrachten, sei es Partnerschaft, Beziehungen zu anderen Menschen, Beruf, Gesundheit oder persönliche Entwicklung – dieses Fundament wirkt immer in uns und beeinflusst alle Bereiche unseres Lebens, ob wir es wollen oder nicht.
Oft stellen wir fest, dass uns immer wieder die gleichen oder zumindest ähnliche Probleme begegnen, wie die Angst vor Verlust oder Bindung, die Angst vor Treppen oder Menschenansammlungen, die Angst vor dem Versagen, die Unzufriedenheit mit uns selbst, und vieles mehr. Oder wir reagieren vollkommen unbewusst, als ob es einfach über uns kommt, und wir können es nicht kontrollieren. Emotionen wie Angst, Wut, Traurigkeit, Scham, Schuld, das Gefühl der Einsamkeit, der Wunsch, zu fliehen, das Gefühl der Blockade und viele andere tauchen einfach auf, wie ein Vulkan, der ausbricht. Diese Emotionen sind Reaktivierungen von Kindheitserlebnissen, die immer noch unser Leben beeinflussen und geheilt werden müssen.
Statt uns mit diesen Problemen herumzuschlagen, sollten wir stattdessen in unsere tiefsten Schubladen greifen und nach den Ursachen suchen.
Wir sollten Frieden mit diesem «inneren Kind» schliessen, das sich dort versteckt hat. Eine ehrliche Selbstreflexion ist ein geeigneter Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Denn wenn wir verstehen und erfahren, dass wir uns selbst durch Selbstkenntnis verändern können, halten wir den Schlüssel zur Neugestaltung unseres Lebens in unseren Händen.
In diesem Prozess kann die Kunsttherapie eine hilfreiche und unterstützende Rolle spielen.
Wir allein tragen die Verantwortung für unser Leben, und wir allein haben die Macht, es neu zu gestalten. Wenn wir glauben, dass andere für unser Leben verantwortlich sind, geben wir unseren Schlüssel zum Glück aus der Hand.
Es erfordert Mut, in unseren tiefsten Schubladen nachzuforschen und sich mit dem inneren Kind zu versöhnen. Wir müssen lernen, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und in Zukunft anders zu handeln.
Unterstützung im kunsttherapeutischen Setting
In einem kunsttherapeutischen Umfeld werden wir bei diesem Prozess begleitet und aufgefangen. Die kreative Gestaltung, sei es durch Malerei, Ton, Holz, Speckstein oder durch Aufstellungen mit Figuren, ermöglicht es uns, unser Inneres ohne Druck und Angst hervorzukehren und zu verarbeiten.
Auch Geschichten und Märchen, besonders wenn sie von uns selbst erfunden werden, sind effektive Mittel, um sich an die Kindheit zu erinnern und diese aufzuarbeiten. Fragen wie «Welche Rolle habe ich in meiner Kindheit gespielt? War ich eher folgsam, brav und ruhig oder wild, rebellisch und aufsässig?» können uns dabei helfen, uns selbst besser zu verstehen.
Wir können auch darüber nachdenken, welche Regeln in unserem Zuhause üblich waren, ob wir bestraft wurden und wie, ob wir uns oft allein gefühlt haben und ob wir unsere Probleme besprechen konnten. Die Beziehung unserer Eltern zueinander kann ebenfalls Einfluss auf unser inneres Kind gehabt haben.
Wenn wir bereits eine gewisse Verbindung zu unserem inneren Kind aufgebaut haben, können wir das Gespräch mit ihm suchen. Wir können es fragen, was es in der Kindheit gebraucht hätte, und ihm einen Brief schreiben, eine Geschichte erzählen oder eine künstlerische Gestaltung schenken. Auf diese Weise lernen wir die Bedürfnisse kennen, die in unserer Kindheit vernachlässigt wurden.
Die Beschäftigung mit dem inneren Kind kann äusserst lohnenswert sein, insbesondere wenn wir konkrete Ziele in der Gegenwart haben, wie zum Beispiel den Aufbau erfüllender Beziehungen oder die Überwindung von Ängsten.
Beim Aufarbeiten des inneren Kindes ist es wichtig, sehr achtsam zu sein. Eine Kunsttherapeutin kann darauf achten, dass wir in unserer Verantwortung und Kraft als liebevolle Erwachsene bleiben und uns nicht von Gefühlen und alten Glaubenssätzen überwältigen lassen, die vielleicht in uns hochkommen.
Eine wichtige Aufgabe der Kunsttherapeutin ist es, einen Anker in der Gegenwart zu setzen, indem sie den Klienten während seiner Arbeit mit dem inneren Kind beobachtet und sein Befinden erspürt. So kann sie die Arbeit jederzeit unterbrechen, wenn es nötig sein sollte.
Wann ergibt es Sinn, sich intensiver mit dem inneren Kind auseinanderzusetzen, kunsttherapeutische Unterstützung zu suchen und an diesem Prozess zu arbeiten? Hier sind einige Anzeichen:
- Wenn du Angst davor hast, dich authentisch zu zeigen, und dich unwohl fühlst, wenn du vor Menschen oder in Gruppen sprechen musst.
- Wenn es dir schwerfällt, dich auszudrücken oder zu sprechen, und du dich blockiert fühlst, aus Angst, etwas Falsches zu sagen.
- Wenn du Angst vor Fehlern hast und immer alles perfekt sein muss.
- Wenn du dich anderen oft unterlegen fühlst, das Gefühl hast, dass niemand dir zuhört und du dich nicht gesehen fühlst.
- Wenn du ständig versuchst, es anderen recht zu machen.
- Wenn du immer allen helfen möchtest und keine Zeit für dich selbst nimmst.
- Wenn es dir schwerfällt, Nein zu sagen, selbst wenn du innerlich Nein fühlst.
- Wenn du versuchst, alles rational mit dem Verstand zu erklären und deine Gefühle unterdrückst, dabei dich selbst im Gedankendrehen verlierst.
- Wenn du mit Konfliktsituationen nicht umgehen kannst und sofort überreagierst, sei es mit Wut oder Traurigkeit, und dich innerlich zurückziehst, dich einsam und verlassen fühlst.
- Wenn du immer wieder ähnliche schmerzhafte Erfahrungen machst, sei es in Beziehungen, am Arbeitsplatz oder anderswo.
- Wenn du Kritik von anderen immer auf dich beziehst, dich klein und minderwertig fühlst und denkst, etwas falsch gemacht zu haben.
- Wenn du dich in bestimmten Situationen immer wieder überfordert fühlst und nicht weisst, wie du damit umgehen sollst.
Ich werde mich umgehend bei Ihnen melden. Die Daten werden zu Ihrer Sicherheit verschlüsselt übertragen.
* sind Pflichtfelder